von humedica-Vorstand Johannes Peter
Gut drei Monate nach den schlimmen Erdbeben, die im Süden der Türkei und in Nordsyrien große Zerstörung und Leid verursacht haben, möchte ich einen Einblick geben, was wir bisher, Dank vieler Spenden, mit unserer Hilfe erreichen konnten, welche Hilfsmaßnahmen aktuell umgesetzt werden und was wir künftig planen.
Die erste Meldung über das Erdbeben hatten einige humedica Kolleginnen und Kollegen noch in der Nacht des 6. Februar 2023 registriert. In den letzten Jahren hatte es immer wieder Erdbeben in der Türkei gegeben, doch nicht mit diesem Ausmaß. Durch gemeinsame Übungen im Katastrophenschutz haben wir gute Kontakte zu türkischen Organisationen. Bei den letzten Erdbeben erlebten wir mit, wie die türkischen Katstrophenhelfer schnell auf die Notlage reagieren konnten. Doch dieses Erdbeben, so wurde im Laufe des Morgens am 6. Februar klar, hatte Auswirkungen, die Hilfe aus der ganzen Welt nötig machen würden.
Zunächst haben wir ein dreiköpfiges Erkundungsteam aus erfahrenen humedica-Einsatzkräften zusammengestellt, die sich auf den Weg ins Erdbebengebiet machten. Parallel konnten wir, Gott sei Dank, mit Alliance of International Doctors (AID) einen geeigneten lokalen Partner finden, mit dem unser Einsatzteam eng zusammenarbeiten konnte.
Zur gleichen Zeit stellten wir, nach Meldung von Bedarfen, die uns von Partnerorganisationen übermittelt wurden, im Austausch mit vielen Sachspendern erste Hilfsgüterlieferungen zusammen, die in den folgenden Tagen und Wochen per Flugzeug oder LKW verschiedene Orte in der Türkei erreichten.
Bedarfe, die nicht durch Sachspenden gedeckt werden konnten, wurden mithilfe von Geldspenden eingekauft. Insgesamt haben wir bisher Hilfsgüter im Wert von über 313.000 Euro in der Türkei vor allem in den Regionen Gaziantep, Hatay und Adıyaman mit lokalen Partnern verteilen können. Außerdem konnten wir einer lokalen Initiative im Allgäu helfen, einen direkten Bedarf an Kleidung und Textilien in der betroffenen Region Hatay im Wert von über 573.000 Euro zu decken. Ansonsten konzentrierten sich unsere Hilfsgüterlieferungen auf Zelte, Wasserreinigungsanlagen, Windeln, Hygiene Kits, Feldbetten, Heizkörper, Kleidung, Decken und Schlafsäcke.

Durch den erfolgreichen Einsatz unseres Erkundungsteams konnte ein medizinisches Einsatzteam von humedica auf Anfrage einer betroffenen Provinz, unter Vermittlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des türkischen Gesundheitsministeriums ihren Einsatz beginnen. Unser ehrenamtliches Einsatzteam löste somit effektiv türkische Einsatzkräfte ab und versorgte für knapp zwei Wochen ein provisorisches Zeltlager im Bereich der Basisgesundheitsversorgung. Zu dem Zeitpunkt lebten schätzungsweise 6.000 obdachlos gewordene Menschen in dem Camp, die wegen des Erdbebens aus ihren Häusern geflohen waren. Eine Besonderheit während des medizinischen Einsatzes war der Besuch der Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei unserem Team im Zeltlager.
Nach unserem Einsatz übernahmen türkische Einsatzkräfte die Versorgung der Patientinnen und Patienten, wobei humedicas Einsatzkraft und Experte Oliver Emmler die internationale Koordinierung medizinischer Teams in der Türkei unterstützte.
Einen Großteil unserer medizinischen Einsatzausstattung (Zelte, medizinische Ausstattung, mobiler Behandlungsplatz, Medikamente und medizinische Verbrauchsmaterialien) übergaben wir für die Weiternutzung an das zuständige medizinische Team vor Ort.
Während des Katastropheneinsatzes liefen derweil vor Ort und von Kaufbeuren aus die Planungen für verschiedene weitere Projekte die mithilfe von lokalen Partnern vor Ort umgesetzt werden.

Seit mehreren Wochen werden durch AID in einem Camp in Kahramanmaras schwer traumatisierte Kinder psychosozial versorgt. Ich hatte selber die Möglichkeit das Projekt zu besuchen. Besonders beeindruckt haben mich die Psychotherapeutinnen, die selber mit den Menschen im Camp leben. So sind sie selbst jeden Tag mit den Herausforderungen des Lebens in einem provisorischen Zeltlager konfrontiert. Mit ihrer wertvollen Arbeit haben sie eine unwahrscheinlich positive Auswirkung auf die Bewohner . Unterstützt wird dieses Projekt, das vorerst bis Ende Juni läuft, besonders mit unserer Expertise im Bereich der psychosozialen Hilfe durch unser humedica-Team aus dem Libanon.
Weiterhin haben wir mit der lokalen Partnerorganisation Migrant Solidarity Association (MSA) ein Projekt im sogenannten „WASH“- Sektor gestartet. Das Akronyom steht für die englischen Wörter Water, Sanitation and Hygiene, also Wasser, Sanitäre Einrichtungen und Hygiene. Insbesondere für Menschen, die nicht in offiziell errichteten Lagern unterkommen konnten oder in sehr entlegenen Gegenden leben, konnten wir zehn Wassertanks mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Litern und 30 Toiletten installieren. Mit dieser Hilfe erreichen wir direkt bis zu 9.000 Campbewohner und vermeiden somit den Ausbruch von schweren Erkrankungen.

Diese mobilen Toiletten verhindern die Ausbreitung von Krankheiten in Flüchtlingslagern der Türkei
Zusammen mit einem Konsortium aus mehreren Partnern bringen wir aktuell, in einem sehr umfangreichen Projekt ein großes Feldkrankenhaus nach Nordsyrien. Damit soll in erster Linie die pädiatrische Versorgung weitestgehend wiederhergestellt werden. Das Gebäude, in dem Kinder bisher behandelt wurden, kann aufgrund von Erdbebenschäden nicht weiterverwendet werden. Das Zeltkrankenhaus wird solange wertvolle Dienste tun, bis ein neues Gebäude gefunden oder das Alte in Stand gesetzt werden konnte. Später wird auch für andere medizinische Bedarfe eingesetzt werden können.
Neben dem Beitrag zu Betrieb und Bereitstellung des Zeltkrankenhauses werden wir auch den Betrieb einer Gesundheitsstation in Nordsyrien finanzieren. Diese deckt ein Gebiet ab, in dem bis zu 100.000 Menschen leben. Beim Besuch desselben viel mir insbesondere auf, wie viele Mütter und Kinder auf ihre Untersuchung warteten. Durch Ihre Spenden können wir einen sehr wichtigen Beitrag leisten, wofür wir sehr dankbar sind.

humedica-Aufsichtsrat Dieter Schmidt in der Apotheke eines Gesundheitszentrums in Nordsyrien
Was die weitere Planung für Projekte in der Türkei betrifft, so werden aktuell unter Federführung unseres humedica-Büros im Libanon Projekte geplant, die sich der mobilen medizinische Versorgung und der Bereitstellung von Prothesen widmen.
Da ich selber die Gelegenheit hatte die Erdebenregion zu besuchen und in vielen Gesprächen mit Partnern und Betroffenen mir ein Bild der Lage machen konnte, möchte ich weitere Eindrücke teilen.
Ich war beeindruckt von dem für mein Urteil weit fortgeschrittenen Aufräumarbeiten und Errichtung von vorübergehenden Unterkünften. Das schiere Ausmaß der Zerstörung zu sehen, hilft mir ein besseres Verständnis zu bekommen, warum viele Menschen wichtige Teile der Hilfsmaßnahmen gerade im Bereich der Unterbringung gar nicht wahrnehmen können. Gerade deswegen planen wir unsere Projekte so, dass genau diese vergessenen Menschen erreicht werden.
Auch die vielen Geflüchteten aus Syrien zählen zu den Vergessenen in dieser Region. In Antakya wurde mir berichtet, dass vor dem Erdbeben in der Stadt 1,5 Millionen Menschen lebten und nun nur noch 500.000 verblieben sind. Zusätzlich lebten vor dem Erdbeben noch eine halbe Million syrische Flüchtlinge in der Region. Viele von ihnen gehen sogar zurück in ihre Heimat, weil ihre Lage in der Erdbebenregion noch schlimmer geworden ist.
Die Menschen im Erdbebengebiet werden noch eine ganze Weile unsere Hilfe brauchen. Wir planen aktuell eineinhalb bis zwei Jahre hier mit Partnern aktiv zu sein. Ein besonderes Anliegen ist es uns die Menschen zu erreichen die wenig oder kaum Zugang zu anderen Hilfsmaßnahmen haben. In Nordwest Syrien warten beispielsweise aktuell rund 15.000 Menschen auf eine Prothese. 35 Prozent der dort lebenden Bevölkerung sind von einer körperlichen Behinderung betroffen, die überwiegend durch den langjährigen Krieg verursacht wurden.
Danke für Ihr Interesse an unserer Arbeit. Danke für jegliche Unterstützung und Spenden, die uns befähigen, diese wichtige Hilfe umzusetzen und weitere Projekte für Menschen in Not zu realisieren.