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Kleine Glücksmomente schaffen

In den ukrainischen Waisenheimen sind die Umstände zum Teil erschreckend. Wie die ehrenamtlichen Helfer von humedica trotzdem einen positiven Unterschied machen und kleine Glücksmomente schaffen konnten, erfahren Sie in ihrem Rückblick.

Die Landesgrenzen der Ukraine und Deutschlands liegen nur etwa 1.000 Kilometer auseinander und doch herrscht in den beiden europäischen Staaten eine vollkommen unterschiedliche Realität. Während wir Frieden und Reichtum genießen, leidet ein Großteil der Ukrainer unter Armut, einige von ihnen außerdem unter den bewaffneten Konflikten im Osten ihres Landes.

Um Menschen beizustehen, die dieser Situation schutzlos ausgeliefert sind, unterstützt humedica verschiedene lokale Partnerorganisationen mit Hilfsgütern und der regelmäßigen Entsendung ehrenamtlicher Ärzteteams. Letzteres besuchte nun das Waisenheim ">„Romaniv Boys Orphanage“ in dem rund 80 behinderte Jungen und Männer unter schwierigen Umständen leben. Wie die Einsatzkräfte von humedica dort helfen konnten, berichten die beiden Teammitglieder Matthias Gerloff und Andrea Kranen-Sutter.

Hilfe am richtigen Ort

„Unser Einsatzort befand sich etwa 150 Kilometer westlich von Kiew in der Kleinstadt Romaniv, wo sich auch das gleichnamige Waisenheim befindet. Gemeinsam mit der ebenfalls anwesenden Hilfsorganisation Wide Awake und dessen Leiter Jed Johnson - Sohn des langjährigenLeiterehepaares von humedica Kosovo, Dave und Cindy Johnson - hatten wir uns zum Ziel gesetzt, die Lebensumstände der Jungen während unseres Einsatzes nachhaltig zu verbessern und dort anzupacken, wo Hilfe nötig ist.

Wir erkannten schnell, dass unsere Hilfe im Romaniv Boys Orphanage am richtigen Platz war. Besonders die 22 Bewohner der Isolierstation, die nicht, wie die anderen, laufen und sich einigermaßen selbst versorgen können, leben unter Umständen, die für unsere Verhältnisse nur schwer vorstellbar sind. Aus Mangel an Windeln liegen die meisten von ihnen stundenlang in ihren Exkrementen. Um den nötigen Bettlaken- und Kleiderwechsel entsprechend gering zu halten, gibt es anscheinend nur wenig zu trinken und auch sonst werden die Jungen, abgesehen vom Essen und der wöchentlichen Dusche, nicht versorgt, so dass die meisten deprimiert und traumatisiert sind.

Die anderen 64 Heimbewohner, die nicht auf der Isolierstation leben, schlafen in Zwölfbettzimmern und verbringen ihre Tage auf einem umzäunten Freigelände, wo sie von mehreren Betreuerinnen bewacht werden. Die fittesten von ihnen werden außerdem morgens von extra angestellten Lehrerinnen in praktischen Dingen unterrichtet. Ein Lichtblick ist auch eine Werkstatt für hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die sich aktuell in der Planung befindet.

Ein beeindruckendes Engagement

Um die Versorgung der insgesamt 88 Buben und jungen Männer zu verbessern, besuchen rund 30 Freiwillige das Waisenheim drei Mal die Woche in wechselnder Besetzung. Sie holen sie aus ihren Betten und dem Freigelände, spielen und singen mit ihnen, und verteilen Bananen, die bei den stets hungrigen Jungen jedes Mal auf große Begeisterung stoßen. Die graue und langweilige Welt der Bewohner erhält dadurch einen farbigen Anstrich, schenkt ihnen lebenswerte Momente und gibt ihnen nicht zuletzt ein großes Stück ihrer menschlichen Würde zurück. Ein wirklich beeindruckendes Engagement, wenn man bedenkt, dass die Helfer auch selbst häufig unter den schlechten Lebensverhältnissen der Ukraine leiden.

Die Arbeit unseres Teams setzte an genau diesem Punkt an. Wir schulten die freiwilligen Helfer in der professionellen Pflege der Jungen und zeigten Wege auf, wie sie Brücken zu den Kindern schlagen und die Bedürfnisse der Behinderten besser erkennen können. Die Jungen genossen die Aufmerksamkeit und die behutsamen Pflegemaßnahmen sichtlich. Wie etwa der neunjährige Danja, der wegen seiner Unruhe und seinem vielen Schreien sonst von den Betreuerinnen an den Rollstuhl gefesselt wird, und der sich nun offensichtlich über die langen Spaziergänge und die Balgereien mit uns freute.

Besonders berührt hat uns auch Slavik, der in seiner ganz eigenen Welt lebt. Slavik ist wegen seiner Taub- und Blindheit bereits vor vielen Jahren im Heim gelandet und ist ein normal begabter, liebenswerter kleiner Junge. Gerade bei seiner Situation war es wichtig, zwischen ihm und den Helfern eine Verbindung herzustellen. Weil Slaviks Verhalten die meiste Zeit so wohlerzogen, angepasst und zurückhaltend ist, haben seine Betreuer vergessen, dass er nicht hören kann. Er unterscheidet sich nicht viel von normalen kleinen Jungen: Slavik möchte Spaß haben, lernen und kuscheln, doch leider bekommt er viel zu selten die Möglichkeit dazu.

Neben unserer Schulung der Freiwilligen haben wir auch eine Sprechstunde für die festangestellten Mitarbeiterinnen des Waisenheims eingerichtet, wo sie all ihre offenen Fragen stellen konnten. Dabei wurde Tag für Tag deutlicher, welch Fluch der Alkohol für die meisten von ihnen ist. Sei es, dass ihr Mann trinkt und sie schlägt oder dass sie alleinerziehend sind und aus Überforderung selbst zu trinken beginnen. Diese Strapazen spiegeln sich dann im harschen Vorgehen ihrer Arbeit wider, wo wir versucht haben, sensibilisierend einzugreifen.

Ein Poster für jeden

Und noch ein kleines Projekt konnten wir während unserer Zeit im Romaniv Boys Orphange anstoßen. Mit der Aktion „Ein Poster für jeden“ soll jeder Bewohner ein individuelles und buntes Plakat erhalten, das er über seinem Bett aufhängen kann und wo neben vielen Bildern auch sein Geburtstag und Dinge die er mag und durch die er gut zu erreichen ist, geschrieben stehen. Zusammen mit unseren medizinischen Diagnosen verhelfen die Poster zu einem konstruktiven Austausch über jeden Einzelnen und erleichtern weiteren Freiwilligen, die Jungen besser kennenzulernen.

Trotz der vielen negativen Begleiterscheinungen war es eine tolle Erfahrung, zu sehen, welch großartige Arbeit die vielen Freiwilligen und ganz besonders Wide Awake-Leiter Jed leisten und dabei stets die Vision einer besseren Zukunft für „ihre Jungs“ verfolgen. Und auch die Zuneigung und die Dankbarkeit der Jungen selbst, ihr Lachen und ihre Nächstenliebe, werden uns mit Sicherheit noch lange in Erinnerung bleiben.“