
Über Augen, Ohren und die Liebe
„Noch vor zwei Wochen saß ich in meinem Lieblingscafé der Hansestadt Hamburg und schrieb fleißig an meiner Bachelorarbeit. Am letzten Punkt der Arbeit stauten sich die Wörter – ich kam nicht mehr weiter. Also gönnte ich mir eine Zwangspause und blätterte in den Zeitungen. Kein Exemplar ließ die aktuellen Geschehnisse in Syrien aus: Es ist Krieg. Was bedeutet das? Wie fern liegt mir die Vorstellung, seine Heimat verlassen zu müssen oder nicht in einem Café sitzen und in Frieden eine Tasse Tee trinken zu können!

Ich erinnere mich, dass ich an diesem Tag keinen Satz mehr an meiner Abschlussarbeit schrieb. Der Grund war ein Anruf aus der humedica-Zentrale. Bis dahin war Syrien für mich ein Land im Nahen Osten, das versucht, einen Diktator zu stürzen; eine gewaltvolle Eskalation des arabischen Frühlings; ein Trümmerfeld gezeichnet durch YouTube-Videos. Ich konnte die Geschehnisse in Syrien nicht begreifen. Mir war es nur als ein Synonym bekannt, das die Medien gebrauchten, um von Krieg zu berichten.
Nun sitze ich auf dem Dach eines Hauses in der libanesischen Stadt Zahlé und blicke auf das Bekaa-Tal. Die untergehende Sonne wirft ihre letzten Strahlen auf die gegenüberliegende Gebirgskette. Hinter diesen Bergen liegt Syrien. Das Land, das so weit weg scheint. Der Krieg, den ich mir nicht vorstellen kann.
humedica startete bereits im September 2012 ein Projekt im Libanon, um syrische Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Nun bin ich Teil dieses Einsatzes. Als Assistenz-Koordinator fahre ich mit dem medizinischen Team in die Flüchtlingscamps. Es sind unzählige ins Bekaa-Tal gewürfelte Zeltbauten. Nach Angaben des UNHCR sind bis zu 1.405.000 Menschen aus Syrien geflohen. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte über Flucht, Angst und Krieg.
Wenn die Straßen ruppiger werden nähert man sich den Flüchtlingscamps. Sie liegen außerhalb der Stadt und grenzen meist an Kartoffeläckern oder Salatfeldern. Die Möglichkeit, Arbeit zu finden, ist dort für die Flüchtlinge am größten. Abwechselnd fahren wir die vielen Camps an, so dass jedes im zwei bis drei Wochen-Rhythmus besucht werden kann.
Im Rückspiegel ist der aufgewirbelte Straßenstaub zu sehen. Von oben brennt die Sonne. Im Vorbeifahren hört man kindliche „Salam“-Rufe. Jedes Camp ist eine in sich geschlossene Gruppierung von 30 bis zu 100 Familien. Die Eindrücke die auf mich wirken, sind kontrovers.
Auf der einen Seite addieren sich Satellitenschüsseln analog der Familienanzahl und versprechen eine geregelte Stromversorgung. Auf der anderen Seite zeugen die Fäkalien und der Müll im angrenzenden Bachlauf von Destruktivität. Auch die Menschen verhalten sich unterschiedlich. Während manche unser Kommen in Ruhe und beobachtend abwarten, strömen andere wild auf uns zu und treffen aus ihrem individuellen Tenor eine gemeinsame übertönende Tonlage.
In den Camps wird uns jeweils ein Zelt zur Verfügung gestellt. In diesem praktizieren die Mediziner. Wenn alles aufgebaut ist und meine Kollegen mit der medizinischen Versorgung beginnen, nehme ich mir Zeit, den Menschen vor dem Zelt zu begegnen.
Mit den Menschen kommt man schnell in Kontakt. Vor allem die Neugier der Kinder spannt mich in ihre Mitte. Ganz unbedarft spüre ich Fingerspitzen auf Armen und Beinen; Augen richten sich auf meinen Bildausweis. Auf meinen Versuch, Arabisch zu sprechen, „وما هو اسمك اسمي اولي“ „Mein Name ist Ole, wie heißt du?“, antworten die Menschen mit Begeisterung:

Lächelnde Menschen mit wunderschönen, großen dunklen Augen stellen sich mir vor. Sie lehren mich die arabischen Begriffe für Auge, Mund, Nase und Ohr, für Liebe und die Zahlen bis zehn. Die Kinder warten gespannt bis ich endlich den letzten Finger abzähle. Dann folgt ein stimmgewaltiges „one, two three,…“. Wir klatschen, in diesem Moment bleibt kein Wort hinzuzufügen.
Nach dem anfänglichen Beschnuppern gehe ich im Camp umher und schaue mir das alltägliche Leben genauer an. Die Zelte haben ein stabiles Holzgerüst. Manche Innenwände sind gar mit Teppichen verziert. Auf dem Boden liegen drei bis vier Matratzen und manchmal ist auch ein Ofen zu entdecken. Oft werde ich hereingebeten. Im Schneidersitz versuche ich bei ziemlich starkem Kaffee eine gute Figur zu machen. Dabei höre ich belächelnde Kommentare über meine körperliche Sperrigkeit genau heraus.
Die Zelte stehen dicht aneinander, so dass sich die Luft staut. Alleine ist man nie; ständig Gewusel. Mittelpunkt der Camps ist in der Regel ein Wassertank. Hier wird getrunken, gewaschen und verweilt. Nach einer Weile mitten im bunten Treiben entziehe ich mich dem Blickfeld und beobachte das Leben abseits des Geschehens.“
Lesen Sie im zweiten Teil der "Pflicht des Herzens", welche Bilder sich Ole Hengelbrock aus der Ferne zeigen und welche Bedeutung Fackelträgern und Prinzen auf der Welt zuteil wird. Bitte unterstützen Sie darüber hinaus unsere Hilfsmaßnahmen für die syrischen Flüchtlinge mit einer konkreten Spende. Vielen Dank.
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